In San Francisco heißt es, dass so viele innovative Ideen (wie Uber oder AirBnB) dort entstanden sind, weil es viele Probleme zu lösen gibt: irrsinnig hohe Mietpreise, eine Rekordsumme an Obdachlosen und ein nicht funktionierendes Öffi-Netz mit daraus resultierenden Horror-Staus. All das sind Probleme, die es bei uns in Wien zwar auch gibt – aber lange nicht in dieser Dimension. Schließlich ist Wien die lebenswerteste Stadt der Welt.
Ganz ehrlich? Ein massives Problem haben wir dennoch. Wir kümmern uns kein bisschen um andere. Wir machen den Mund nicht auf. Und allzu oft sehen wir nicht hin – ob absichtlich oder unbewusst ist egal. Das MUSS aufhören!
Ich war letzte Woche zum ersten Mal seit Längerem wieder in unserer schönen Hauptstadt. Nur ein paar Stunden haben gereicht, um ein gravierendes Problem zu identifizieren und den Drang das zu ändern. Doch bestimmt nicht alleine, da diese Dinge in unser aller Verantwortung liegen!
Daher auch dieser Blogbeitrag.
Hier beschreibe ich euch, was mich zu diesem mahnenden Beitrag bewegt:
Auf dem Weg zu einem Termin am Naschmarkt, sah ich eine junge Frau am Boden liegen.
Sie riss noch einmal kurz ihre Augen auf und war dann bewusstlos. Ich vermute stark, dass sie schon ein paar Momente länger dort lag. Zu Hilfe kam ihr aber außer einem Kellner und mir zuvor NIEMAND.
Das kann einfach nicht sein! Egal, ob vermutlicher Junkie oder nicht: Wenn ein Mensch Hilfe braucht, dann haben wir gefälligst Hilfe zu leisten! Schließlich geht es im Grunde nur um einen Anruf bei 144. Durch das Urteil der Rettungskräfte stellte sich tatsächlich heraus, dass es sich um eine Intoxikation, eine akute, mitunter lebensbedrohliche Vergiftung durch Drogen, handelte. Das tut aber nichts zur Sache, denn offensichtlich brauchte sie dringend medizinische Hilfe.
Zwei Stunden später befand ich mich in der U-Bahn.
Es war kurz vor Rush Hour und alle Sitzplätze waren besetzt. Als ein älterer Mann mit Gehstock einstieg, machte wiederum NIEMAND der Sitzenden auch nur eine Andeutung, aufzustehen oder ihm zumindest den Platz anzubieten. Ich sah dann ganz am Ende des Wagons einen freien Sitzplatz und deutete ihm. Er nickte höflich und hat sich sichtlich gefreut, dass jemandem seine Situation auffiel. Die Sitzplätze in U-Bahn, Bus, Straßenbahn etc. sind denen zu überlassen, die sie dringend brauchen!
Wieder eine Stunde später in einem Franchise-Restaurant mit Selbstbedienung und Aufladekarten-System fällt mir wieder etwas auf, das mir fast schon typisch österreichisch oder zumindest typisch für Wien vorkommt:
einige ältere Damen sind offensichtlich zum ersten Mal in diesem Restaurant und finden sich nicht zu recht mit der Bestellung, wie das mit den Karten funktioniert und wann man sich nun zu einem Tisch setzt. Das Personal schien im Stress und alle Gäste, die ganz klar wussten, wie das Bestellen und Bezahlen dort funktioniert, übersahen die Damen wohl. Ist ja auch der einfachere Weg. Bloß niemanden ansprechen. Bloß nicht hinsehen. Ein Paradebeispiel für den österreichischen Spruch „jemanden blöd sterben lassen“. Zwei Sätze haben ausgereicht, um den Damen weiterzuhelfen.
Und noch ein Beispiel dafür, wie sich das „Nichts sagen“, sondern „blöd sterben lassen“ in unserem Land etabliert hat.
Als ich aus den USA kommend in Wien-Schwechat gelandet bin, warteten alle Passagiere über eine halbe Stunde am Gepäckband, bevor das erste Gepäck eintraf. Leider nur ein paar wenige. Die Mehrzahl der Koffer war nicht da. Ich bin der Meinung, dass ein Mitarbeiter einmal laut sagen hätte sollen: „Die Maschine ist noch nicht fertig entladen. Bitte gedulden Sie sich noch ein paar Minuten.“ Stattdessen ging ein Passagier nach dem anderen zum Gepäcks-Desk und fragte nach, so dass die beiden Mitarbeiter es etwa fünfzig mal erklären mussten, dass die Maschine noch nicht fertig entladen ist und es noch dauert – sprich der Fakt über die verspätete Gepäckausgabe war dem Personal bekannt.
Andererseits haben aber auch die Passagiere keinerlei Info an andere weitergeben. Als ich dann zu einer Kleingruppe, die die Info noch nicht hatten, sagte, was mir beim Schalter mitgeteilt wurde, kam außer eines verwunderten Blicks nichts. Kein Danke. Nichts. Nachdem ich nur Stunden davor den direkten Vergleich hatte, wie Amerikaner mit ähnlichen Situationen umgehen, behaupte ich, dass mir die oberflächliche Freundlichkeit der Amerikaner (zumindest jener, denen ich in Kalifornien und Austin, Texas begegnet bin) lieber ist als unsere Gleichgültigkeit!
All diese Beispiele zeigen mir, dass viele von uns andere echt „blöd sterben lassen“ wie man bei uns eben sagt. Das kann so meiner Meinung nach nicht weitergehen.
Mein dringender Appell an uns alle:
- Augen und Mund aufmachen in der Öffentlichkeit. Es gibt v.a. in einer Großstadt wie Wien so viele Situationen, wo eine kleine Geste zu mehr Menschlichkeit und einem besseren Miteinander führt.
- Die Goldene Regel beachten: „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu“. Verhalten wir uns dementsprechend. Auch Fremden gegenüber!
- Menschen helfen, die Hilfe brauchen. Auch wenn sie nicht danach fragen oder vielleicht gar nicht danach fragen können.
Die ersten drei Erlebnisse fanden innerhalb von nur wenigen Stunden statt. Es gibt also viel zu tun. Viel besser zu machen. Viel mehr auf einander zu schauen. Und viel mehr miteinander zu reden! Schließlich wünschen wir uns auch Hilfe, wenn wir sie brauchen.
Anderen zu helfen sollte die Regel sein. Nicht die Ausnahme!
Danke Julia, so wahr! Ich unterstütze den Appell für mehr Freundlichkeit und Menschlichkeit!
Liebe Karin! Sehr fein <3 Danke - auch für deinen Kommentar! Alles Liebe, Julia
… ich stimme dir vollkommen zu!
Danke dir Jürgen! 🙂
Ojeee, so schlimm ist es mittlerweile schon? Traurig!
Sogar in Südafrikas oder Brasiliens Großstädte
(„wo dich ja jeder nur bestehlen oder umbringen will“)
habe ich nur extremst hilfsbereite und freundliche Leute getroffen.
Hier ist nur ein Beispiel:
in Belem haben wir eine Frau an einer Haltestelle nach dem Bus zum Flughafen gefragt, da wir nicht die selbe Sprache sprechen ist sie mit zwei voll bepackten Einkaufstüten fast 30min. mit uns durch die Stadt gelaufen und hat noch ewig mit uns gewartet damit wir in den richtigen Bus steigen.
Hallo lieber Thomas, danke für deinen Kommentar und dass du euer Erlebnis teilst! Echt schön!!! Von Brasilien kann ich auch nur von sooooo herzlichen Menschen berichten. Als wir im Februar in der Ubahn in Rio gefahren sind, war gerade Rush-Hour und entsprechend voll war der Wagon. Ein Platz wurde frei und der, der sich hinsetzen wollte hat zuerst, die Leute um ihn gefragt, bevor er sich hingesetzt hat. Das war auch toll zu sehen 🙂 Alles Liebe an euch aus Österreich, Julia